dd. Beschlussfassung und Gültigkeit (Anfechtung, Nichtigkeit)
Das Stimmrecht kommt jeder Aktie im Verhältnis zu ihrem Nennwert zu, mindestens aber eine Stimme (Art. 691 f. OR). Kein Stimmrecht kann an denjenigen Aktien ausgeübt werden, welche die AG infolge eines Erwerbs eigener Aktien hält (Art. 659a Abs. 1 OR). Kein Stimmrecht haben naturgemäss Partizipanten.
Die GV entscheidet mit der Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen (allgemeines Quorum, Art 703 OR). Ein Beschluss ist gefasst, wenn die Hälfte plus eine aller Aktienstimmen zustimmt. Enthaltungen und unwirksame Stimmen zählen als Nein-Stimmen.
Beträgt der Nennwert der vertretenen Aktien CHF 100’000.00, müssen mind. Aktienstimmen in der Höhe von CHF 50’000.01 für einen Antrag stimmen, damit er angenommen wird. Bestehen Stimmrechtsaktien und es wurden 100 Aktien ausgegeben, müssen 51 Stimmen den Antrag gutheissen.
Die Statuten können vorsehen, dass bei Stimmgleichheit dem Vorsitzenden der Stichentscheid zusteht. Ein qualifiziertes Mehr (zwei Drittel der Stimmen und die Mehrheit der Aktiennennwerte) ist nötig für wichtige Beschlüsse. Sie sind in Art. 704 Abs. 1 OR abschliessend aufgeführt. Sie betreffen die
- Gesellschaft (Zweckänderung; Sitzverlegung; Auflösung; statutarische Schiedsklausel);
- Kapitalstruktur (qualifizierte Kapitalerhöhung; bedingtes Kapital und Kapitalband; Währungswechsel);
- Beteiligungstitel (Aktienzusammenlegung; Bezugsrechtsbeschränkung; Umwandlung PS in Aktien; Vinkulierung; Dekotierung); und
- GV (virtuelle GV ohne unabhängigen Stimmrechtsvertreter bei unkotierten Gesellschaften; Stimmrechtsaktien; Stichentscheid Vorsitz; GV im Ausland).
Die Statuen können andere, höhere Quoren vorsehen. Sie sind auch anwendbar, um die erhöhten Quoren wieder abzuschaffen (Art. 704 Abs. 2 OR). Ob eine Unterschreitung des allgemeinen Quorums zulässig ist, scheint fraglich und dürfte höchstens in einzelnen Bereichen zulässig sein. Daneben bestehen weitere Sonderquoren z.B. in Art. 731 Abs. 2 OR oder Art. 18 Abs. 1 lit. a FusG (s. 8. Teil).
Sehen die Statuten Stimmrechtsaktien vor, so verfügt jede Aktie über eine Stimme. Dadurch erhalten Aktien mit geringem Nennwert auf ihren Nennwert bezogen eine höhere Stimmkraft. Der Nominalwert der übrigen Aktien (Stammaktien) darf das Zehnfache des Nennwerts der Stimmrechtsaktie nicht übersteigen (Art. 693 Abs. 1, 2 OR).
Allerdings ist bei gewissen Beschlüssen allein der Nennwert massgebend, die Bemessung des Stimmrechts nach der Zahl der Aktien also nicht anwendbar (Art. 693 Abs. 3 OR):
- Wahl der Revisionsstelle;
- Ernennung von Sachverständigen zur Prüfung der Geschäftsführung oder einzelner Teile;
- Beschlussfassung über die Einleitung einer Sonderuntersuchung;
- Beschlussfassung über die Anhebung einer Verantwortlichkeitsklage.
Beispiel Stimmrechtsaktien:
Eine AG hat ein AK von CHF 1’000’000; ausgegeben als Stamm- und Stimmrechtsaktien, die je eine Stimme haben:
– 800 Aktien à 1’000 Nennwert (Stammaktien),
also 800 Stimmen bei 800’000 Nennwert;
– 2’000 Aktien à 100 Nennwert (Stimmrechtsaktien),
also 2’000 Stimmen bei 200’000 Nennwert.
Folgende drei Traktanden werden je wie folgt entschieden:
– Stimmen: 2’000 Ja 800 Nein
– Kapital: 200’000 Ja 800’000 Nein
Traktandum |
Beschluss |
Wahl VR Kandidat A |
Wahl des A |
Zweck- änderung |
Kein Beschluss (wichtiger Beschluss, Art. 704 OR, qualifiziertes Mehr von 2/3 Stimmen und Mehrheit Nennwert nicht voll erreicht) |
Ergreifung Verantwortlichkeitsklage gegen A |
Klageergreifung (Art. 693 Abs. 3 Ziff. 4 OR: der Nennwert entscheidet; Stimmrechtsaktien geniessen keine besondere Stimmkraft) |
GV-Beschlüsse, die gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen, sind nach Art. 706 Abs. 1 OR anfechtbar. Abs. 2 nennt exemplarische Anfechtungsgründe. Möglich sind sowohl materielle (z.B. unsachgemässe Ungleichbehandlung von Aktionären) als auch formelle (z.B. fehlerhafte Stimmauszählung) Mängel, soweit sie kausal für den Beschluss waren. Die Klage hat sich gegen die AG zu richten.
Aktivlegitimiert sind der Verwaltungsrat als Organ, jeder einzelne Aktionär und allfällige Partizipanten (Art. 656a Abs. 2 OR). Aktionäre und Partizipanten bedürfen zudem eines Rechtsschutzinteresses. Ein solches liegt vor, wenn die Aufhebung des Beschlusses im Interesse der AG liegt. Zudem muss sich die Aufhebung laut Bundesgericht positiv auf die Rechtsstellung des Klägers auswirken und der Kläger darf dem fraglichen Beschluss nicht (irrtumsfrei) zugestimmt haben.
Der Anfechtung kommt keine aufschiebende Wirkung zu; der Entscheid des Gerichts ist kassatorisch: eine Gutheissung hebt den angefochtenen Beschluss rückwirkend mit Wirkung erga omnes (gegenüber allen Aktionären) auf, beinhaltet aber keine ersetzende Entscheidung durch das Gericht. Das Recht zur Anfechtung verwirkt zwei Monate nach der GV (Art. 706a OR), danach gilt der fragliche Beschluss als geheilt.
Besonders qualifizierte Mängel führen zur Nichtigkeit des betroffenen GV-Beschlusses. Er hat mithin nie bestanden und entfaltet keinerlei Rechtswirkungen. Art. 706b OR nennt beispielhaft besonders fehlerhafte Beschlüsse, darunter solche, die vom Gesetz zwingend gewährte Rechte des Aktionärs beschränken oder entziehen (z.B. das Recht auf Teilnahme und Stimmabgabe an der GV); oder die Grundstrukturen der AG missachten oder die Bestimmungen zum Kapitalschutz verletzen. Jedermann mit schutzwürdigem Interesse kann jederzeit die Nichtigkeit des Beschlusses von einem Gericht feststellen lassen (Art. 88 ZPO).