8. Wirtschaftliche Betrachtungsweise (Substance over form)

a) Allgemeines

Die wirtschaftliche Betrachtungsweise (Substance over form) führt dazu, dass Geschäfte nach ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt (actual substance) und nicht nach formaljuristischen Kriterien (legal form) zu beurteilen und darzustellen sind. Ein Leasingvertrag ist beispielsweise je nach Regelungsgehalt entweder als Kauf (finance leasing) oder als Miete (operating leasing) auszuweisen. Wenn A Eigentümer einer Sache ist, aber ein Vertrag dem B in Bezug auf diese Sache sämtliche Weisungsbefugnisse und Nutzungsrechte gegenüber A einräumt, kann es sinnvoll sein, den B als «wirtschaftlich Berechtigten» zu bezeichnen und für die Rechnungslegung sein «wirtschaftliches Eigentum» als massgeblich zu erklären. Der wirkliche, nicht der rechtliche Charakter des Vertrages steht damit im Vordergrund. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gilt umfassend in den Rechnungslegungsstandards und eingeschränkt auch im OR.

b) Quellen

Art. 958 Abs. 1 OR; Swiss GAAP FER, Rahmenkonzept, Ziff. 10.

(1) Swiss GAAP FER

Wirtschaftliche Betrachtungsweise (Substance over Form; Swiss GAAP FER, Rahmenkonzept, Ziff. 10)

Für die Swiss GAAP FER Jahresrechnung gilt der Grundsatz «Substance over Form», d. h. tatsächliche wirtschaftliche Gegebenheiten gehen der rechtlichen Form vor.

(2) IAS/IFRS

Wirtschaftliche Betrachtungsweise (IAS/IFRS, Framework, Paragraph 35)

  1. Wenn die Informationen die Geschäftsvorfälle und anderen Ereignisse, die sie vorgeben darzustellen, glaubwürdig darstellen sollen, müssen sie gemäss ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt und nicht allein gemäss der rechtlichen Gestaltung bilanziert und dargestellt werden. Der wirtschaftliche Gehalt von Geschäftsvorfällen oder anderen Ereignissen stimmt nicht immer mit dem überein, was scheinbar aus ihrer rechtlichen Gestaltung oder Sachverhaltsgestaltung hervorgeht. Ein Unternehmen kann beispielsweise einen Vermögenswert an eine andere Partei so veräussern, dass das Eigentum formalrechtlich auf diese Partei übergeht. Es können Vereinbarungen bestehen, wonach dem Unternehmen der künftige wirtschaftliche Nutzen aus dem Vermögenswert weiterhin zukommt. Unter derartigen Umständen würde eine Berichterstattung über einen Verkauf den vorgenommenen Geschäftsvorfall nicht glaubwürdig darstellen (wenn tatsächlich eine Transaktion stattgefunden hat).